Weihnachtsfreude eines kleinen Tannenbäumchens Der Winter hat seinen Einzug gehalten. Wald und Feld lag unter einer weißen Schneedecke und man konnte meinen, die ganze Welt würde sich zur Ruhe begeben. Weihnacht stand vor der Tür und es würde nicht mehr lange dauern, bis sich die Kufen des Christkind’s Schlitten tief in den Weg eingraben würden.
Im tiefen Wald, dort wo kaum Sonnenstrahlen durchdringen, stand ein Tannen-baum, ganz klein und unscheinbar. Um ihn herum standen große, alte Bäume und sie alle mochten den kleinen Baum. Sie erzählten ihm Geschichten und er hört aufmerksam zu. Spannend konnten die alten Bäume erzählen. Das ist ja auch kein Wunder, denn sie hatten ja schon vieles erlebt. Manche von ihnen waren schon fast hundert Jahre alt. Sie alle hatten das Christkind schon oft, sehr oft durch den Wald fahren gesehen. Es war immer wieder ein großes Erlebnis und so mancher Baum hatte im Stillen gehofft, das Christkind würde vielleicht gerade ihn mitnehmen und ihn herrlich geschmückt einem braven Kind bringen. Für einige wurde dieser Traum Wirklichkeit.
Die Bäume, die hier mit ihren starken Wurzeln und riesigen Ästen standen, hatten Glück und Leid miterlebt. Die Tränen, die geflossen sind, wenn sie nicht auserwählt wurden und die Freudentränen, wenn nun das Christkind doch einen von ihnen mitgenommen hatte.
Der kleine Tannenbaum konnte an nichts mehr anderes denken. Tag und Nacht stellte er sich vor, wie es wäre, wenn er in einem großen oder kleinen Zimmer stehen würde, prächtig geschmückt mit bunten, glänzenden Kugeln, glitzernden Sternen und natürlich mit leuchtenden Kerzen, die so hell strahlen. Kinder würden um ihn herumtanzen und sich an ihm erfreuen. Er träumte oft davon und jetzt, wo die Schneeflocken lustig durcheinander purzelten und sein dickes, weißes Mäntelchen immer dichter wurde, meinte er manchmal, Schlittenglocken zu hören.
Aber noch war es wohl nicht so weit. Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Es war ja auch nur ein Wunsch und vielleicht erging es ihm wie seinen großen Brüdern, die auch nur davon träumen durften.
In der letzten Zeit sah es oft den alten Förster, der den Tieren Heu und Kastanien brachte, damit sie keinen Hunger leiden mussten, wenn der Schnee ganz tief war.
Die Rehe und Hirsche kamen und fraßen mit Genuss die feinen Dinge, die hier für sie bereitet waren. Ab und zu kam auch ein Fuchs vorbei und so manches Häschen hoppelte zu dem kleinen Bäumchen, stellte sich auf die Hinterpfoten, schnupperte an den Zweigen und lief wieder davon.
Im Futterhäuschen, das der Förster auch aufgehängt hatte, tummelten sich große und kleine Vögel und ab und zu bekamen sie Streit um das Futter, wenn es wieder mal zu Ende ging.
Ja, langweilig wurde dem Bäumchen eigentlich nicht. Es war immer etwas los bei ihm im Wald.
Eines Tages, das Bäumchen schlief noch tief und fest, spürte es ein leichtes Rütteln und Schütteln und es hörte ein zartes Stimmchen, das sprach: „Ja, diesen nehmen wir, der ist ja wunderschön gewachsen. Wir müssen ihn nur noch von dem vielen Schnee befreien und in der warmen Stube wird bestimmt auch das Eis schmelzen.“
Der kleine Tannenbaum schlug die Augen auf und fast hätte er einen gehörigen Schreck bekommen, wenn nicht das Christkind höchstpersönlich vor ihm gestanden hätte und leise auf ihn einsprach: „Hallo, du kleiner Baum. Du machst jetzt mit meinem Schlitten eine lange Fahrt an das andere Ende des Waldes. Dort wohnt ein kleines Mädchen mit seinem Großvater. Lieschen heißt es und es hat keine Eltern mehr. Beide sind schon bei mir im Himmel. Weil sie sehr krank waren, habe ich sie zu mir geholt. Der Großvater sorgt nun alleine für sein Lieschen. Er schrieb mir einen Brief. Lieschen wünscht sich zum Weihnachtsfest einen schönen Christbaum und eine Puppe. Die Puppe habe ich schon im Schlitten bei den anderen Sachen. Freust du dich, du kleiner Baum? Du wirst sehr schön aussehen mit den roten Kerzen und den bunten Kugeln und Lieschen und der Großvater werden Augen machen, wenn sie dich sehen!“
Der Tannenbaum spürte ein leichtes Ziehen und auch einen kleinen Schmerz als die kleine Säge durch ihn fuhr. Aber es machte ihm nichts aus. Die Freude, bald ein Christbaum sein zu dürfen, war viel, viel stärker. Er war aufgeregt und rief seinen Brüdern, den alten, großen Bäumen zu: „Mein Wunsch geht nun doch in Erfüllung, ich freue mich!“
Behutsam packten die Engelchen, die dem Christkind immer hilfreich zur Seite stehen, das Bäumchen auf den Schlitten und mit lieblichem Glockengeläut ging es durch den verschneiten Winterwald. Zwei weiße Hirsche zogen den Schlitten und das Christkind rief ihnen zu: „Schnell, schnell ihr lieben Tiere, damit noch alle Kinder ihre Geschenke bekommen!“
Es dauerte auch gar nicht lange, da kamen sie an einem kleinen, alten Häuschen an. Es war ganz zugeschneit. Nur ein kleiner Pfad führte zu der Türe, an der ein großer Tannenzweig mit einem roten Band befestigt war. Hinter den Scheiben, durch die Eisblumen hindurch, flackerte eine Kerze und der kleine Raum war durch ihren Schein ein wenig erhellt.
Lieschen und der Großvater schliefen in ihren Betten tief und fest. Es war die Nacht vor dem Heiligen Abend.
Gleich machten sich die Englein und das Christkind an die Arbeit. Flink und ganz leise schmückten sie den kleinen Tannenbaum, der voller Stolz seine Äste von sich streckte. Als dann auch noch Kerzen auf den Zweigen saßen, meinte er, dass er sicherlich der schönste Baum weit und breit wäre. Für Lieschen ganz bestimmt!
Eine schöne Puppe mit einem blauen Kleid und einem Goldband im Haar wurde unter den Baum gesetzt. Für Großvater legte das Christkind noch ein paar warme Socken und Tabak für die Pfeife dazu.
„Mach’ es gut, kleiner Baum, schön siehst du aus!“ rief das Christkind ihm noch zu und dann verschwand es mit allen Engelchen und man hörte nur noch aus der Ferne das Glockengeläut des Schlittens, bald war es ganz still.
„Da steh’ ich nun, bin ganz aufgeregt und kann kaum zur Ruhe kommen“, dachte das Bäumchen und dann ist es doch auch vor Müdigkeit eingeschlafen.
Als das kleine Mädchen am nächsten Tag aufwachte, wunderte es sich sehr, dass die kleine Stube fest verschlossen war. Großvater blickte sehr geheimnisvoll und meinte, da dürfe man heute nicht rein, denn das Christkind und die Englein ließen sich nicht gerne bei der Arbeit stören.
Lieselchen drückte ihr Näschen ganz fest an die Scheiben und sah aufgeregt den Schneeflocken bei ihrem lustigen Treiben zu. Sie purzelten vergnügt auf das Fensterbrett und tanzten ausgelassen. Sicherlich freuten sie sich auch über das Weihnachtsfest. Dichter, immer dichter wurde die Schneedecke und die kleinen Sträucher und Bäumchen sahen aus wie kleine Wichtelmännchen. Zwei Häschen spielten miteinander und stritten sich um eine Karotte, die Großvater für sie hingelegt hatte.
Es wurde dunkler und dunkler und bald war es ganz finster. Nur die Sterne am Himmel und der Mond leuchteten. Ganz besonders hellt strahlte ein Stern, der Weihnachtsstern, und in seinem Schein glitzerte der Schnee, als wären tausende Edelsteine über ihm ausgestreut worden. Es war ein wunderschönes, märchenhaftes Bild.
Was war das? Hatte da nicht ein Glöckchen geläutet? Lieschen hielt den Atem an und - da war es schon wieder! Ja, ganz zart und leise ertönte ein Glöckchen aus der Stube. Aufgeregt hüpfte Lieschen vom Stuhl, den es sich zum Fenster gestellt hatte.
Sie rannte zur Stube. Die Tür war ganz offen und mitten im Raum stand ein strahlender, wunderschöner Christbaum. Es war wie ein Traum und doch, es war Wirklichkeit! Da stand nun der so sehr ersehnte Weihnachtsbaum mit roten Kerzen und bunten Kugeln und vielen Sternchen. Das Bäumchen reckte und streckte sich und bewegte unmerklich die Äste, damit sich die Kugeln im Kerzenlicht drehten. Stolz und glücklich konnte es miterleben, wie Lieschen und Großvater sich über alle Maßen über ihn freuten.
Unter seinen Ästen auf einer hübschen Decke saß die Puppe im blauen Kleid und es war dem Bäumchen, als würde sie ihm zuzwinkern und sagen: Ich freue mich auch so, dass ich da bin.
„Großvater, das Christkind war da!“ rief Lieselchen. Großvater nahm es in seine Arme und drückte es ganz fest an sich. „Frohe Weihnacht, mein liebes Kind“, sagte er gerührt und Tränen liefen über seine Wangen. Er freute sich so sehr, dass das Christkind sie nicht vergessen hatte.
Es wurde ein unvergesslicher Heiliger Abend. Sie danken dem Christkind von ganzem Herzen und auf der Fensterbank entzündeten sie zwei Kerzen. Diese sollten für Lieschens Eltern brennen. Wenn sie vom Himmel runtersahen, konnten sie deren hellen Schein sehen.
Das Christkind flog noch einmal schnell zum kleinen Haus im Wald und blickte heimlich durch das Fenster. Drinnen sah es zwei glückliche Menschen und einen ganz besonders glücklichen und frohen, kleinen Tannenbaum.
© Renate Harig (1995)
Diese Geschichte ist zwar ein bisserl lang, aber die Kleinen haben dem Nikolaus Gert brav zugehört, wenn er sie vorgelesen hat.
Nehmt Dir einfach ein bisserl Zeit und fühle Dich für eine kleine Weile in die Kindheit zurückversetzt!
Alles Liebe Renate