Sonntag, 15. August 2010

Begegnung am See

Meine lieben Blog-Freunde!

Da ich nun wieder eine Woche weg bin, und nichts in mein "Eckchen" reinsetzen kann, habe ich eine Geschiche ausgewählt, die schon oft abgedruckt wurde und einfach zum Nachdenken anregt.

Nehmt Euch einfach die Zeit und lest es mal in einer ruhigen Minute. Ich habe in der Geschichte Erinnerungen persönlicher Art mit einbezogen. Und ich denke, dass so eine Situation oder eine ähnliche schon mal in Eurem Leben passiert ist! Jeder hat ja schon mal einen lieben Menschen verabschieden müssen, oder muss es vielleicht in absehbarer Zeit tun. Jedem, dem so etwas bevorsteht, wünsche ich viel Kraft und Gottes Segen!


Alles Liebe für Euch alle

RENATE



Begegnung am See


Ein kleiner Junge saß ganz alleine an einem See und schaute in das klare, grüne Wasser, in dem sich die Bäume und Sträucher rundherum widerspiegelten. Ab und zu warf er einen kleinen Stein hinein, der dann mit einem leisen Pluppern inmitten von Wasserringen verschwand.

Traurig sah der Junge aus, den ich vielleicht auf 10 Jahre schätzte. Sicherlich hatte er Kummer und ich beobachtete ihn schon eine ganze Weile. Ich saß abseits auf einer Bank und konnte von ihm nicht gesehen werden. Ich hatte plötzlich einfach das Gefühl, dass ich ihn ansprechen möchte. Vorsichtig, das ist ja klar, ich überlegte, wie ich es anstellen sollte.

Langsam ging ich den kleinen, engen Weg, der links und rechts von Sträuchern zugewachsen war, hinunter zum See, der da so malerisch, wie ein grüner Diamant vor mir lag. Ruhig war es, und ich genoss die Stille an meinem ersten Urlaubstag. Stille ist überhaupt ein Zustand, an den man sich erst nach all’ der Hektik wieder gewöhnen muss, aber sie tat unglaublich gut.

Der Junge bemerkte mein Kommen nicht und ich rief ihm schon von einiger Entfernung „Guten Tag“ zu, damit er sich nicht erschreckte. Das war auch gut so, wie sich herausstellte, denn er war mit seinen Gedanken sehr weit weg. Die Steine, die er in einem kleinen Häufchen neben sich aufgeschichtet hatte, warf er monoton ins Wasser und ich weiß nicht, ob er ihr Untergehen überhaupt wahrnahm.
„Guten Tag, na, was machst du denn so alleine hier an dem See? Hast du denn keine Angst?“ fragte ich ihn, während ich mich zu ihm runterbeugte.

„Guten Tag“, kam es zögernd und leise zurück. „Ich habe keine Angst, ich kenne mich hier aus“.
Schon dachte ich, ich hätte etwas verkehrt gemacht und wollte gerade sagen, es täte mir leid, dass ich ihn in seiner Ruhe gestört habe. Da meinte er, während er unablässig Stein um Stein ins Wasser warf: “Sie können sich ruhig neben mich setzen, wenn sie möchten, es stört mich nicht!“

Ich nahm seine Einladung an und setzte mich neben ihm ins Gras und eine kleine Weile waren wir beide ganz still. Er hörte mit dem Hineinwerfen der Steine auf und schaute über den See und mir schien, als würde sein Blick am anderen Ende des Sees die kleine Hütte, die dort stand, treffen. Ich hatte diese schon zuvor, als ich den kleinen Weg zum See hinunter ging, bemerkt und mir gedacht, dass man auf dem Steg, der von der Hütte in den See führte, ganz toll sitzen und die Beine ins Wasser baumeln lassen könnte.

„Ein schönes Häuschen“, sagte ich und „wem es wohl gehört. Bestimmt einem Angler, der seine Freizeit hier gerne verbringt. Sie steht ja auf einem besonders schönen, romantischen Platz. Überhaupt ist es hier wunderschön. Besonders an einem so schönen, warmen Sommertag!“

Ich bekam keine Antwort, aber ich sah, dass der Junge plötzlich sehr unruhig wurde und wieder mit dem Steine-ins-Wasser-werfen-Spiel begann. Steinchen um Steinchen wurde im Nass versenkt.

Ich dachte an meine Kindheit, als ich so gerne an unserem Fluß in meinem Boot gesessen hatte, das damals irgend jemand am Ufer befestigt hatte, und so lange ich denken kann, sich immer am selben Platz befand. Ich sammelte ebenfalls Steine und sie gefielen mir mit ihren verschiedenen Formen und Farben. Besonders wenn sie nass waren, erschienen sie mir oft wie die wertvollsten Edelsteine. Viele nahm ich mit nach Hause, viele habe ich wieder ins Wasser geworfen. Einige habe ich dann auch bemalt, einen größeren davon gibt es noch und dieser dient mir heute noch als Briefbeschwerer.



Ich weiß nicht, wie lange wir so stumm dagesessen haben, als der junge Mann die Stille unterbrach.

„Die Hütte da drüben gehört meinem Großvater. Haben sie auch noch einen Großvater?“ fragte er mich.

Ich sah gerade zwei Libellen zu, die mit ihren schillernden Flügeln vor mir hin und her flogen. Wie kleine Pfeile schossen sie an mir vorbei, ehe sie sich auf einem Seerosenblatt etwas Ruhe gönnten.

Die Frage des kleinen Jungen schoss direkt in mein Herz und traf es voll. Aha, dachte ich, er vermisst seinen Großvater. Vielleicht ist er gestorben, das täte mir sehr leid. Im Moment fiel mir meine Kinderzeit ein und mein Großvater stand plötzlich im Geiste vor mir, ich hätte die Hand nach ihm ausstrecken können.

„Plumps“ machte es und ein kleiner Stein sank langsam auf des Sees Grund.

„Nein, ich habe keinen Großvater mehr, er ist schon vor einigen Jahren gestorben, aber ich hatte ihn sehr gern und ich wäre froh, er wäre ab und zu noch für mich da. Mit ihm habe ich als kleines Mädchen viel unternommen und er hat mir sehr, sehr viel beigebracht und mir viele schöne Dinge gezeigt. Ja, aber weißt du, ich habe ihn eigentlich immer noch, tief in meinem Herzen. Da wird er ewig sein. Wenn man so viele schöne Erinnerungen an einen Menschen hat, dann ist er nie ganz weg!“

Der Junge senkte den Kopf und ich sah Tränen auf seinen Wangen. Zaghaft begann er zu erzählen:
„Mein Großvater ist nicht gestorben, noch nicht. Er ist sehr krank und meine Mutti sagt, dass er wohl sehr bald sterben wird. Er wäre ganz arm, wenn er so weiterleben müsste, sagt sie. Ich habe ihn im Krankenhaus besucht und er konnte überhaupt nicht mehr mit mir sprechen. Er ist nach dem Schlaganfall, den er plötzlich bekam, ganz gelähmt und kann höchstens ab und zu ganz zart meine Hand drücken. Er kann nichts mehr essen und wird nur noch künstlich ernährt. Meistens hat er die Augen zu und schläft, weil er starke Medikamente bekommt, damit er keine Schmerzen leiden muss.“

Und wieder spritzen Wassertropfen, dieses Mal war es ein größerer Stein. Ich beobachtete die Wasserringe, die er beim Versinken hinterließ. Schön sahen sie aus in dem grünen Wasser.

„Das tut mir sehr leid für deinen Großvater und natürlich auch für dich. Du hast deinen Opa bestimmt sehr lieb und möchtest natürlich, dass er noch recht lange bei dir bleiben kann und nicht sterben muß. Aber weißt du, wenn er so schlimm krank ist, dass sein Leben nicht mehr lebenswert wäre, dann musst du vernünftig sein und ihm wünschen, dass er bald seine Ruhe bekommt. Das ist nicht leicht, so zu denken, ganz gewiss nicht, aber du bist doch schon ein großer Junge und weißt, dass alle Menschen einmal sterben müssen, wir alle. Und das Leben deines Großvaters ist wahrscheinlich am Ende angelangt und du musst ganz fest daran glauben, dass es deinem Opa beim lieben Gott gewiss gut gehen wird. Man sagt, Menschen, die sterben, ziehen einfach um in ein anderes, schöneres Zuhause.“

Ich hörte mich reden und dachte dabei, dass ich damals, als ich meinen Großvater verloren hatte, schon erwachsen war. Der Schmerz, den ich empfunden habe, war mindestens so groß, wie der des kleinen Jungen. Aber die Dankbarkeit, Opa gehabt zu haben, wurde von Jahr zu Jahr größer! Diese Erfahrung wird er auch machen, irgendwann!

Wir saßen ganz dicht nebeneinander und ich hatte meine Hand auf die kleine Hand des Jungen gelegt. Er ließ es gewähren. Ganz still war es wieder. Ab und zu sprangen kleine Fischlein aus dem Wasser und schnappten nach Luft. Es war schwül geworden. Mücken schwirrten um uns. Es dämmerte schon. Großvaters Hütte wurde von dem Schein der untergehenden Sonne in rotgelbes Licht getaucht und erstrahlte geheimnisvoll schön. Ich schaute hinüber und stellte mir auf dem Steg einen kleinen Jungen mit seinem Großvater vor, die dort saßen und die Angel in das Wasser warfen. Ja, ganz gewiss hatten die beiden an diesem Platz eine sehr schöne Zeit zusammen verbracht.

„Wie heißt du eigentlich?“ fragte ich. „Andreas“ war die Antwort. „Mein Opa heißt auch Andreas, wie ich!“

„Andreas, kann ich dich nach Hause bringen?“
„Nein, danke, ich wohne hier in der Nähe. Meine Schwester kommt mich abholen, sie weiß, dass ich hier auf meinem Lieblingsplatz bin. Hier bin ich oft mit meinem Großvater gesessen und er hat mir Geschichten erzählt, wahre und von ihm erfundene und alle waren sie wunderschön und ich werde sie auch bestimmt nie vergessen!“

„Andreas, wenn es dir recht ist, dann können wir uns solange ich Urlaub habe, ab und zu treffen und über deinen und meinen Großvater reden. Möchtest du?“

„Oh ja, ganz bestimmt möchte ich das, morgen um dieselbe Zeit?“

„Ich komme, auf Wiedersehen bis morgen!“ Ich drückte seine Hand, dann stand ich auf und ging den Weg, den ich gekommen war, zurück. Zurück ließ ich einen kleinen, nachdenklichen Jungen, der wieder Steinchen um Steinchen ins Wasser warf. Aber mir schien, als wäre es ein etwas fröhlicheres Spiel geworden.

(c) Renate Harig (26.08.1999)

3 Kommentare:

Sara von Buelsdorf hat gesagt…

Eine schöne, aber auch traurige Geschichte, liebe Renate.
Das sind immer die schwersten Augenblicke im Leben und man hofft nie, daß sie kommen werden und weiß es doch, daß sie unvermeidlich sind - in jedem Leben ...

Ich wünsche Dir eine schöne Woche!

Liebe Grüße
Sara

Lemmie hat gesagt…

Liebe Renate!
Eine wunderbare Geschichte ist es.
Es gibt sicher viele Menschen in unserem Leben, die wir sehr vermissen müssen, aber doch froh darüber sind, dass wir eine Zeit lang den Weg gemeinsam gehen durften.
Lieben Gruß
Poldi

Bärbel Hüpping hat gesagt…

Liebe Renate!
Toll, die Geschicht rührt einem zu Herzen u. es
tauchen Erinnerungen auf an den eigenen Opa!
Obwohl er schon lange nicht mehr bei uns ist. (wohl aber noch in unseren Herzen).
Es kann sich ein jeder glücklich schätzen der noch einen Großvater hat.
Wünsche Dir eine angenehme Woche mit viel Kraft.
Es umarmt Dich, Bärbel.